Wie schafft Eventpsychologie Wirkung, Steffen Ronft?

1. Juni 2022

EventPsychologie Steffen Ronft

Das habe ich den Wegbe­reiter der Diszi­plin Steffen Ronft gefragt. Hier seine hilf­rei­chen Gedanken:

 

Live-Kommu­ni­ka­tion ist immer etwas Einzig­ar­tiges. Kein Event ist eins zu eins wieder­holbar, kein Event gleicht dem anderen. Ich kann also nicht wie bei einem physi­schen Produkt Versäum­nisse und Fehler im Nachgang korri­gieren oder ein Update ausspielen. 

 

Unter Umständen gefährde ich nicht nur die positive Wirkung meines Events, also beispiels­weise das emotio­nale Erlebnis bei einem Konzert oder die kommu­ni­ka­tive Ziel­set­zung bei einem Corpo­rate Event, sondern sogar die körper­liche und geistige Unver­sehrt­heit meiner Gäste. Daher kommt allen an der Erstel­lung Betei­ligten eine beson­dere Bedeu­tung zu. Das Event- und Messe­ma­nage­ment sowie die einzelnen Gewerke arbeiten gemeinsam auf Veran­stal­tungen hin, deren Adressat:innen immer Menschen sind. 

 

Ein grund­le­gendes Verständnis, welche psycho­lo­gi­schen Mecha­nismen auf Events zum Tragen kommen, ist daher aus meiner Sicht geboten, um dieser Verant­wor­tung gerecht zu werden. Insbe­son­dere während der Corona-Pandemie haben wir gesehen, wie sich Event­for­mate auch digital weiter­ent­wi­ckeln – nur eines ändert sich nicht: Der Mensch ist stets im Mittel­punkt und letzt­lich die entschei­dende Determinante.

 

Eventpsychologie schafft…

 

1) Fundierung für ein besseres Teilnehmererlebnis

 

Es gibt nur die eine Chance, nur diesen einen Moment, an welchem die Besucher:innen dem Event ihre Aufmerk­sam­keit und Lebens­zeit widmen – und diesen müssen wir möglichst optimal im Sinne der Gäste gestalten! Es gilt also in gewisser Weise einen Blick in Zukunft zu werfen und eine Wirkungs­vor­her­sage zu treffen. Und dabei hilft uns das bereits vorhan­dene Wissen beispiels­weise zur Multi­sen­sua­lität des Menschen aus der Wahr­neh­mungs­psy­cho­logie (Ronft, 2021c). Wir können so auf Grund­lage von wissen­schaft­li­cher Forschung Entschei­dungen fundiert treffen und den Wirkungs­grad unseres Events erhöhen.

 

Tipp: Auf Grund­la­gen­wissen aus der Wahr­neh­mungs­psy­cho­logie zurückgreifen

 

  • Events als Team­leis­tung: Wer im Planungs‑, Umset­zungs- oder Evalua­ti­ons­pro­zess von Events einge­bunden ist, sollte über ein fundiertes Basis­wissen über die mensch­liche Wahr­neh­mung verfügen. Denn erst durch das Zusam­men­spiel aller Betei­ligten – von Projekt­lei­tung bis Service­per­sonal – entsteht das von Besucher:innen indi­vi­duell wahr­ge­nom­mene Erlebnis. Jedes Gewerk trägt ein Puzzle­teil zur Wahr­neh­mung bei. Wie auch bei einem echten Puzzle, stellt ein unpas­sendes Teil eine Lücke für das anvi­sierte Gesamt­bild dar. Stört mich bei einem Konzert der Park­platz­stau viel­leicht nur am Rande, sind schlechte Luft, zu wenige Toiletten oder eine nicht ausrei­chende Geträn­ke­ver­sor­gung Einschnitte in Grund­be­dürf­nisse und wesent­liche Puzzle­teile eines posi­tiven Erlebnisses. 
  • Events als Synthese von Reizen: Uns sollte stets bewusst sein, dass der Mensch über zeit­gleich mehrere Sinne Infor­ma­tionen aus der Umwelt aufnimmt. Entspre­chend gilt es die visu­ellen, audi­tiven, olfak­to­ri­schen, gust­a­to­ri­schen und hapti­schen Reize während eines Event im Blick zu behalten. Welche proaktiv gesetzte Stimuli zahlen auf das multi­sen­so­ri­sche Even­t­er­lebnis ein, welches sind eher auftre­tende Störreize? 
  • Reiz ist nicht gleich Reiz: Uns sollten Verar­bei­tungs­prin­zi­pien wie der Picture Supe­rio­rity Effect bekannt sein, also dass Bilder schneller und besser als Text­in­for­ma­tionen verar­beitet werden. Dies ist neben der Kommu­ni­ka­tion auch für sicher­heits­re­le­vante Aspekte wie der Beschil­de­rung zur Besu­cher­füh­rung von großer Bedeu­tung: Daher Pikto­gramme statt Text.

 

 

2.) Einen Blick in Zukunft meines Events

 

Gescheh­nisse zuver­lässig vorher­zu­sagen war schon immer ein Mensch­heits­traum und wäre auch für das Event­ma­nage­ment revo­lu­tionär. Die Komple­xität unserer Realität erlaubt zuver­läs­sige Prognosen jedoch nur zu bedingt. Auf einer psycho­lo­gi­schen Verhal­tens­ebene ist dies aber mitunter möglich: Der Mensch greift in vielen Situa­tionen auf Verhal­tens­muster – so genannte Behavior Patterns – zurück, da die allum­fas­sende Wahr­neh­mung und Verar­bei­tung von Infor­ma­tionen sowie ratio­nale Entschei­dungs­fin­dung kognitiv nicht möglich sind. Aus der Forschungs­rich­tung Beha­vi­oral Econo­mics kennen wir rund 200 solcher psycho­lo­gi­schen Effekte und Phäno­mene, die im Event­kon­text auftreten oder gezielt einge­setzt werden können (Ronft, 2021a). 

 

Tipp: Behavior Patterns zur Verhal­tens­vor­her­sage nutzen

 

  • Menschen verstehen: Um Entschei­dungen und Verhalten unserer Gäste besser verstehen, sollten wir möglichst viele Behavior Patterns kennen und im Event­kon­text erkennen können. Häufig folgt das Verhalten von Besucher:innen Mustern, die bei aufmerk­samer Beob­ach­tung oder Planung bereits vorher­zu­sehen waren.
  • Menschen verführen: Wir müssen bedenken, dass sich Bedürf­nisse und Entschei­dungen durch Behavior Patterns über­ra­schend leicht beein­flussen lassen. Ein bekanntes Beispiel ist der Priming Effekt: Nach einem ästhe­tisch bebil­derten Vortrag über Tee wird in der darauf­fol­genden Pause mehr Tee als üblich getrunken.
  • Menschen sichern: Entschei­dungen von Menschen zu beein­flussen kann im Extrem­fall Leben retten. Wir müssen daher Phäno­mene wie beispiels­weise der Place Affi­lia­tion versus Person Affi­lia­tion bereits in die Veran­stal­tungs­pla­nung einbe­ziehen: Menschen sehen den Eingang einer Location auch als Ausgang statt sich an einer Beschil­de­rung zu orien­tieren (Place Affi­lia­tion). Gerade in Entfluch­tungs­si­tua­tionen muss auf diesen Effekt seitens des Veran­stal­ters reagiert werden. Es kann proaktiv mit dem Effekt der Person Affi­lia­tion, also einer Art Herden­trieb, proaktiv entgegen gewirkt werden. Die Gäste können so auch entgegen ihrem eigent­li­chen Verhal­tens­muster durch ihnen unbe­kannte Wege geführt werden.

 

 

3.)  Inspiration und Innovationen für die Praxis

 

Die Psycho­logie ist eine breit gefä­cherte Diszi­plin, die sich von mensch­li­cher Wahr­neh­mung, Sozi­al­ver­halten, Denk- und Lern­pro­zessen bis hin zu biopsy­cho­lo­gi­schen Effekten erstreckt. Längst ist die Psycho­logie in betriebs­wirt­schaft­li­chen Manage­ment­themen wie Leader­ship, Recrui­ting und Marke­ting ange­kommen. Daraus ergeben sich eigene Ausprä­gungen wie die Arbeits‑, Orga­ni­sa­tions- oder Werbe­psy­cho­logie. Event­psy­cho­logie ist wiederum der inter­dis­zi­pli­näre Transfer psycho­lo­gi­scher und neuro­lo­gi­scher Erkennt­nisse in das Event­ma­nage­ment und steht gerade am Beginn einer syste­ma­ti­schen Entwick­lung. Im Grunde kommen täglich neue Erkennt­nisse hinzu (Ronft, 2021b).

 

Tipp: Inter­dis­zi­pli­närer Transfer von Wissen­schaft zu Praxis vornehmen

 

  • Offen sein: Sowohl in wissen­schaft­li­chen Fach­zeit­schriften als auch bran­chen­spe­zi­fi­schen Konfe­renzen und Messen werden stetig neue Erkennt­nisse disku­tiert. Wir sollten uns immer wieder die Frage stellen, von welchen Erkennt­nissen profi­tiert die nächste Event­pla­nung? Aus welchen Erkennt­nissen können wir neue Inspi­ra­tionen und Ideen ableiten? 
  • Mut zeigen: Wir sollten uns trauen, psycho­lo­gi­sche Erkennt­nisse auf eigenen Events einzu­bringen und auszu­pro­bieren. Warum nicht mit zu Pikto­grammen über­ar­bei­teten Beschil­de­rungen den Gästen die Wege­füh­rung erleich­tern oder mittels Priming Effekt die gesunde Alter­na­tive am Mittags­buf­fett attrak­ti­vieren? Wir sollten dabei jedoch stets die mani­pu­la­tive Wirkung des Einsatzes psycho­lo­gi­scher Effekte selbst­kri­tisch reflek­tieren und der Prämisse folgen, diese nur zum Wohle der Besucher:innen einzusetzen. 
  • Visionen haben: Tech­no­lo­gi­sche Entwick­lungen erschließen neue Anwen­dungs­felder und wir müssen auch auf deren psycho­lo­gi­sche Wirkungs­weise achten und diese unter­su­chen. Was bedeutet die Teil­nahme über AR- oder VR-Brillen an einem Meta­verse-Event für die Teil­neh­menden? Gelten die gleichen psycho­lo­gi­schen Prin­zi­pien wie auf einem physi­schen Event? Gelten die Erkennt­nisse der Umwelt­psy­cho­logie zur Gestal­tung von Umge­bungen auch in virtu­ellen Räumen? Gerade in diesen Schnitt­stellen ergeben sich in Wissen­schaft und Praxis neue Perspek­tiven und span­nende (Forschungs-)Ansätze.

 

Fazit: Wie schafft Eventpsychologie Wirkung, Steffen Ronft?

 

Die Verknüp­fung von Psycho­logie und Event­ma­nage­ment ermög­licht ein besseres Verständnis der zentralen Kompo­nente eines jeden Events – des Menschen. Für Event­schaf­fende besteht mit psycho­lo­gi­schem Hinter­grund­wissen die Möglich­keit wirkungs­vol­lere Veran­stal­tungen zu kreieren. Stetig werden neue wissen­schaft­liche Erkennt­nisse publi­ziert und disku­tiert, die im Sinne einer inter­dis­zi­pli­nären Event­psy­cho­logie in die Praxis über­tragen werden können. Wir stehen hier noch am Anfang. 

 

 

Steffen RonftSteffen Ronft ist Dozent für Event­psy­cho­logie sowie als Autor, Berater und Speaker tätig. Ein Mann mit Visionen und vor allem einer klaren Mission: Event­ma­nage­ment und Psycho­logie zur Event­psy­cho­logie zusam­men­bringen und so Events – ob physisch oder virtuell – opti­mieren. Super Lese­stoff zur Event­psy­cho­logie!

 

Lite­ra­tur­ver­zeichnis:

Ronft, S. (2021a). Behavior Patterns. In S. Ronft (Hrsg.), Event­psy­cho­logie. Veran­stal­tungen wirksam opti­mieren: Grund­lagen, Konzepte, Praxis­bei­spiele (S. 313–366). Wies­baden: Springer Gabler.

Ronft, S. (2021b). Event­psy­cho­logie – ein inter­dis­zi­pli­närer Ansatz. In S. Ronft (Hrsg.), Event­psy­cho­logie. Veran­stal­tungen wirksam opti­mieren: Grund­lagen, Konzepte, Praxis­bei­spiele (S. 43–53). Wies­baden: Springer Gabler. 

Ronft, S. (2021c). Multi­sen­suale Live-Kommu­ni­ka­tion. In S. Ronft (Hrsg.), Event­psy­cho­logie. Veran­stal­tungen wirksam opti­mieren: Grund­lagen, Konzepte, Praxis­bei­spiele (S. 147–168). Wies­baden: Springer Gabler. 

 

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